Der Chor Tonart und seine Kinderchöre bestritten das Neujahrskonzert in Nassau
Nassau. Was für ein toller Anlass, um ins fast noch jungfräuliche Jahr zu starten: die Liebe. Genauer gesagt, all die Lieder, die sich um dieses unerschöpfliche Thema drehen: Zu einer von der Renaissance bis in die Gegenwart führenden musikalischen Zeitreise durch Liebesglück und -frust hatten die Nassauer Tonartisten mit ihrem Neujahrskonzert eingeladen. Und damit, um es vorwegzunehmen, zu einer Veranstaltung, die Chorgesang vom Feinsten bot.
Zuerst allerdings war der Nachwuchs an der Reihe: Die an ihren blauen T-Shirts erkennbaren, von Monika Bär und Kristina Haxel betreuten Singmäuse im Alter von maximal sechs Jahren und die mit gelben Chor-T-Shirts ausgestatteten „Großen“ der Tonart-Kids unter der Leitung von Petra Schönrock-Wenzel, die immerhin schon das Grundschulalter erreicht haben, gaben sich die Ehre. Da wurde gesungen, gestikuliert und sich umeinandergedreht, dass es eine Wonne war. Auch wenn die zu Beginn aufgeführte „Jahresuhr“, die dem Liedtext zufolge niemals stillsteht, den Zuhörern bereits Mitte Januar die Vergänglichkeit des Lebens im Allgemeinen und des Jahres 2019 im Besonderen vor Auge und Ohr führte: Es machte einfach Spaß mitzuerleben, mit wie viel Talent und Freude Singmäuse und Tonart-Kids bei der Sache sind.
Abmarsch blau-gelbe Fraktion, Einmarsch Erwachsene, die in ihrer schwarzen Chorkleidung mit türkisfarbenen Krawatten, Schals, Hosenträgern oder wie auch immer gearteten anderen Accessoires farblich wie akustisch eine neue Note ins Geschehen brachten. Und nicht nur optisch gesehen für einen äußerst harmonischen Auftritt sorgten: Der Zusammenklang dieser 25 verschiedenen Stimmen, das merkte man sehr schnell, wirkt wie aus einem Guss.
Logisch, dass ohne den Beatles-Klassiker „All You Need is Love“ (zu Deutsch: Alles, was ihr braucht, ist Liebe“) bei dieser Veranstaltung rein gar nichts ging. Er fungierte nicht nur als musikalischer Einstieg in, sondern auch als Gesamtmotto über dem Abend. „Es ist das Thema unserer Zeit“, sagte Hermann Bubinger, Vorsitzender des veranstaltenden KulturWerks Nassau, in seiner Begrüßung – und machte damit deutlich, dass es hier über die romantische Bedeutung des Begriffs „Liebe“ hinaus letztlich auch um eine gesellschaftspolitische Ebene ging.
Das 16. Jahrhundert lieferte den Start- und Ausgangspunkt der musikalischen Zeitreise, die auf ihrer ersten Etappe von Frankreich („Mit Lieb bin ich umfangen“ von Toinot Arbeau) ins benachbarte Belgien („O occi, manza mia“ von Orlando di Lasso) führte. Beeindruckend, wie der Chor Tonart, der seit seiner Gründung 2002 unter der Leitung von Achim Fischer steht, auch bei diesen traditionellen, zwar tänzerisch geprägten, aber sehr ruhigen Liedern einen reizvollen musikalischen Spannungsbogen aufzubauen wusste. Punktgenaue Einsätze, saubere Intonation und Stimmführung, dazu ein voller, satter, ungewöhnlich harmonischer Chorklang: Dieser Eindruck prägte auch den weiteren Verlauf des Konzerts, das in seinem ersten Teil vor allem romantische Liebeslieder aus dem 19. Jahrhundert in der Pipeline hatte – darunter, um nur zwei Beispiele zu nennen, das von Friedrich Glück vertonte und von Max Reger in einen vierstimmigen Chorsatz gesetzte Eichendorff-Gedicht „In einem kühlen Grunde“, das sich um eine unglückliche, da unerwiderte Liebe dreht, oder das auf andere Weise tragische Liebeslied „Rosmarin“, das Johannes Brahms einst auf der Grundlage eines Gedichts aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ komponierte.
Dass selbst die glücklichste Liebe mit den Jahren Federn lassen kann, thematisierte wiederum das von Tonart sehr nuanciert vorgetragene schottische Lied „Oh waly, waly“ in einem modernen Chorsatz des jungen deutschen Komponisten Jan-Hendrik Herrmann. Ein mit Bedacht ausgewähltes Repertoire also, für dessen inhaltliche und historische Einordnung ein vierköpfiges Sprecherteam zuständig war: Markus Böckler, der die mit wissenswerten Details gespickte Moderation auch geschrieben hatte, sowie Monika Bär, Inge Kloos und Markus Bär trugen die zahlreichen Hintergrundsinformationen vor.
Nach der Pause waren die Zeitreisenden endgültig in der Moderne angekommen. Titel wie der von George Gershwin komponierte und von Bailard MacDonald und Buddy De Sylva getextete Song „Somebody Loves Me“, der Elton-John-Klassiker „Can You Feel The Love Tonight“ aus dem „König der Löwen“ und Oliver Gies‘ chormusikalische Liebesgeschichte „Das Rendezvous“ standen jetzt unter anderem auf dem zusehends schwungvoller und teils auch sehr lautmalerisch werdenden Reiseprogramm. Und: Auch jetzt wieder war die Reiseleitung bestens auf Draht. So erfuhr man beispielsweise, dass das vom schwedischen Komponisten Hakan Parkmann im Madrigal-Stil gesetzte Lied „Take, O Take Those Lips Away“ vermutlich auf ein Shakespeare-Gedicht zurückgeht oder anno 1971 „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“ 15 Wochen lang in den Top Ten der deutschen Charts stand. E-Musik neben Schlager, Liebeslieder aus der Renaissance neben solchen aus der Romantik, Melancholisches neben ungebremst Fröhlichem: Die Mischung passte einfach – auch, weil die tonArtisten sie ohne sensationsheischende Knalleffekte, aber mit viel Gespür für musikalische Qualität zu präsentieren wussten.
RZ Rhein-Lahn-Kreis (West) Bad Ems vom Donnerstag, 24. Januar 2019
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